KAPITEL 1
„DRAMATIS PERSONAE“
Jana
Es klang eigentlich nicht schlecht: Dafür, dass sie sich vierundzwanzig Stunden für ein Experiment zur Verfügung stellen sollte, würde sie satte zweitausend Euro erhalten. Bar auf die Hand, wie ihr mitgeteilt wurde. Damit wäre ihr nächster Urlaub bereits finanziert.
Sie musste keine neuen Medikamente testen, so wurde ihr versichert. Die Summe würde auch dann ausbezahlt werden, wenn sie das Experiment vorzeitig abbrechen würde. Lediglich die ersten vier Stunden waren Pflicht.
Auch sonst gab es keinen Haken, wie wiederholt bekräftigt wurde. Sie musste lediglich damit leben, dass sie sich im Verlauf der Versuchsreihe auch mal entkleiden musste. Dieser Gedanke schreckte sie zunächst einmal nicht wirklich ab.
Ein Wochenende ohne Party würde es halt werden, eines ohne Discos, einfach nur ein paar vermutlich ziemlich langweilige Stunden in einem Landhaus, das eigens hierfür angemietet werden sollte – irgendwo im Bayrischen Wald, fernab jeglicher Zivilisation (wie sie bereits jetzt befürchtete), fernab jeglicher Bespaßungsindustrie.
Egal – die zwei Riesen klingelten regelrecht in ihrem Kopf. Notfalls würde sie eben irgendwie diese vier Stunden runter reißen, dann die Kohlen einkassieren und anschließend wieder die Heimfahrt antreten. Sogar die Reisekosten würden übernommen werden.
So meldete sie sich, nachdem sie sichergestellt hatte, dass wirklich, wie in der Anzeige, die sie in einer Zeitschrift im Wartezimmer ihres Frauenarztes entdeckt hatte, angegeben, eine namhafte psychologische Fakultät hinter diesem Experiment stand, kurzerhand an.
„Leider können wir Ihnen nicht schon vorab etwas über den Versuchsablauf sagen“, hatte ihr die Assistentin des Projektleiters am Telefon erklärt. „Das würde die Ergebnisse beeinflussen. Ihnen entsteht aber auch kein wirtschaftlicher Schaden. Auch wenn Sie bereits vor Ablauf der ersten vier Stunden den Versuch abbrechen, werden auf jeden Fall Ihre Reisekosten erstattet.“
Das wirkte tatsächlich alles ein wenig seltsam auf sie. Andererseits weckte diese Geheimniskrämerei auch ein wenig ihre Neugier. Ja, sie würde dabei sein, beschloss sie nach reiflicher Überlegung, und egal, was passierte, sie würde die ersten vier Stunden absolvieren. Das angebotene Geld wollte sie auf jeden Fall mitnehmen.
So kam es, dass Sie am Samstag in der Früh ihre Reisetasche packte, sich mit Toilettenartikeln und Kleidung für ein Wochenende eindeckte – dazu noch ein wenig Lektüre für die dreistündige Zugfahrt – und zum Bahnhof lief, um dort ihren Zug zu erreichen.
Torben
Torben stand – wie so oft – vor dem mannshohen Spiegel seines Kleiderschranks im Schlafzimmer und betrachtete sich mit einem gehörigen Maß an Selbstverliebtheit.
Wie üblich, war er dabei völlig nackt, betrachtete seinen Körper und vor allen Dingen seinen Schwanz.
Nicht, dass es einen sachlichen Grund für seine narzisstischen Betrachtungen gäbe, er war sechsundzwanzig, hager, hatte ein unauffälliges leicht pickeliges Gesicht, dünnes rotblondes Haar, an dem bisher jeder Frisör verzweifelt war, seine Körperbehaarung beschränkte sich auf ein paar Flusen unter seinen Achseln und in der Schamgegend. Genau genommen wirkte er grundsätzlich für jede Frau so interessant wie ein trockenes Brötchen.
Gelegentlich kam es vor, dass während dieser Betrachtungen seine Phantasie verrücktspielte, während er sich vorstellte, dass er diesen Körper fremden Leuten präsentierte. Meist bekam er bei solchen Fantasien eine Erektion und onanierte heftig.
War er ein Exhibitionist? Diese Frage hatte er sich schon oft gestellt. Doch er konnte sich im Moment nicht vorstellen, dass er auf diese Gedankenspiele Taten folgen lassen würde.
Okay, er hatte es während eines Aufenthaltes an der Nordsee schon einmal drauf ankommen lassen und hatte sich auf dem FKK-Strand breitgemacht, um zu sehen, was passieren würde.
Das Resultat war eher ernüchternd für ihn gewesen. In der ersten halben Stunde hatte er geradezu penetrant auf dem Bauch gelegen, damit niemand seinen knüppelharten Schwanz sehen konnte, und nachdem er (unauffällig, wie er fand) in sein Strandtuch ejakuliert hatte, war der Reiz auch schon verflogen.
Hier waren alle nackt – ausnahmslos. Er stach nicht aus den anderen Badegästen heraus. Es gab Männer mit Stummelschwänzchen, Männer mit riesigen Pimmeln, einige waren am Sack rasiert, andere wiederum nicht, es gab Frauen mit kleinen Möpsen, die eher an Moskitostiche erinnerten, dann gab es welche mit riesigen Titten, die (vor allem bei älteren Frauen) schier bis zum Bauch hingen, gelegentlich konnte er einen Blick auf deren Spalten erhaschen, einfach nur Vaginen, wie sie alle Frauen hatten, eigentlich ein Anblick, bei dem er sich vor Pornoseiten im Internet permanent einen runterholte. Doch jetzt war der ganze Reiz verpufft. Alle waren nackt, niemanden interessierte das und er würde auch hier – dessen war er sich durchaus bewusst – keine Frau finden, die mit ihm ficken würde.
Dahinter verbarg sich aber auch Torbens größtes Problem: Er war schüchtern und verklemmt. Auch wenn er regelmäßig davon träumte, seinen Pimmel regelrecht in die Welt hinaus zu tragen, so traute er sich noch nicht einmal, im Schwimmbad unter der Dusche die Badehose auszuziehen. Selbst der Selbstversuch auf dem FKK-Strand hatte ihn einige Überwindung gekostet.
Und dann hatte er von diesem ominösen Experiment gelesen, bei dem es auch erforderlich sein konnte, dass er dort blankziehen musste. Allein dieser Gedanke und die Fantasien, die er dabei entwickelte, brachten ihn zunächst einmal drei Tage lang dazu, ununterbrochen zu wichsen. Erst nachdem er sein mit Spermaflecken übersätes Bettzeug in die Waschmaschine gestopft hatte, fasste er einen Entschluss und meldete sich an.
Kira
Eigentlich mochte sie es gar nicht, wenn jemand anders sie nackt sah. Kira war zwar nicht prüde, sah aber auch keinen sachlichen Grund dafür, dass sie permanent Gott und der Welt ihre Titten zeigte.
Sie war keineswegs hässlich – eher das Gegenteil war der Fall und nicht wenige Männer drehten sich nach der auffallend hübschen Frau um, die sich häufig genug so kleidete, dass die Klamotten noch nicht einmal im Ansatz ihre Figur betonten – „geschlechtslose Säcke“, wie ihre beste Freundin ihren Kleidungsstil schon häufiger genannt hatte.
Kira war das egal – sie wollte als Mensch wahrgenommen werden und konnte es partout nicht leiden, wenn sie auf ihre Fotze reduziert wurde.
Sie machte auch nicht das, was ihre Freundinnen stets taten – sie rasierte sich weder unter den Achselhöhlen, noch an ihrem Intimbereich. Lediglich die Beine enthaarte sie gelegentlich, denn der dunkle Flaum ihrer schwarzen Haare störte sie dann doch.
Ihren letzten Freund hatte sie bereits vor einigen Monaten in die Wüste geschickt. Wenn sie etwas von ihm wollte, musste sie immer erst die Beine breitmachen. Nicht, dass sie etwas gegen Sex hatte, genau das Gegenteil war der Fall, aber das war für sie eine Sache zwischen gleichberechtigten Partnern und keine Währung.
Ihr Lustempfinden war durchaus ausgeprägt. Das umfangreiche Sammelsurium an Vibratoren und anderen Sexspielzeugen in der oberen Schublade ihrer Kommode in ihrem Schlafzimmer sprach eine deutliche Sprache. Allerdings, so fand sie, brauchte sie keine Schwänze, um daran Spaß zu haben. Oft genug lag sie nachts im Bett und einer dieser Lustbringer war unter ihrer Bettdecke im Dauereinsatz. Das konnte sie genießen, zelebrierte regelrecht, wie sie ihre Klitoris stimulierte, schob den Höhepunkt immer weiter hinaus und hatte bereits mehr als einmal voller Lust vermutlich die gesamte Nachbarschaft aus dem Schlaf geschrien, als sie dann endlich zuließ, dass sie geradezu explosionsartig kam.
Danach musste sie nicht selten noch mitten in der Nacht das Bettzeug wechseln, weil es allein von ihrem Schweiß klitschnass war.
Nein, frigide war sie keineswegs, doch für sie war es eben immer noch eine Sache, die sie mit sich selbst ausmachte und nicht der Öffentlichkeit anheimstellte.
Folglich hatte sie auch gezögert, ehe sie sich auf dieses Experiment einließ, über das sie in einer Zeitschrift gelesen hatte.
Auch sie war nicht schlauer, als all die anderen. Eine Studie über das Sexualverhalten der Deutschen sollte es sein. Und es war wohl erforderlich, dass sie ab und an die Hüllen fallen lassen musste.
Diese Kombination irritierte sie – in gleichem Maß, wie sie die versprochenen zweitausend Euro lockten. Sie brauchte bald ein neues Auto – ihr alter Golf wurde nur noch vom Rost zusammengehalten und der in drei Monaten anstehende TÜV würde wohl das Todesurteil über die Karre aussprechen.
Schließlich beschloss sie, sich auf dieses Wagnis einzulassen und hoffte, sich nicht schon während der ersten vier Stunden, die sie zu absolvieren hatte, um dieses Honorar zu erhalten, vor den Augen sabbernder und geifernder Professoren einen runterholen zu müssen.