Es beginnt mit einem Arbeitsunfall, in dessen Verlauf der Bauhelfer Paul Prankenhuber durch eine herabfallende Schraube für unbestimmte Zeit ins Reich der Träume geschickt wird. Nachdem es zunächst so aussieht, als würde er sich von seinen Verletzungen zu erholen, fängt er plötzlich an, sich ziemlich merkwürdig zu verhalten. Plötzlich weigert er sich, Klamotten zu tragen, lehnt Technik in jeder Form ab und gründet eine Sekte, die er „Kinder des Lichts“ nennt. Hashna Hal Haram, die Göttin des Lichts sei ihm erschienen und habe ihm die Augen geöffnet, behauptet er. Entgegen aller Erwartungen findet er tatsächlich Mitstreiter, die sich fortan auf den Weg machen, um noch mehr Menschen von ihrer kruden Lehre zu überzeugen. Damit richten sie heilloses Chaos an.

Autor: Michael Derbort
Druckausgabe:
Umfang: 162 Seiten
Format: Softcover
ISBN: 978-9403616834
Preis: 9,90 €
TRIP 1: DIE GÖTTIN DES LICHTS
Der denkwürdigste Tag in Paul Prankenhubers Leben war der 26. Juli 2016 gewesen. Nicht etwa ein anderer Tag, wie etwa der seiner Geburt (dass dieser jemals stattfand ergibt sich ja schließlich von selbst, denn sonst wäre diese Geschichte am Ende ja witzlos), sondern eben jener Tag, an dem der Polier brüllte „Prankenhuber, wo ist dein verdammter Helm?“.
„Ich mache jetzt Feierabend“, erklärte Prankenhuber.
„Und wenn du deinen verdammten Urlaub nimmst“, tobte der Polier, „solange du auf dieser scheiß Baustelle bist, trägst du einen Helm!“
„Jetzt mach mal nicht so einen Aufriss“, beschwichtigte Prankenhuber. „Ich bin ja gleich weg. Was soll denn jetzt noch passieren?“
Der aufmerksame Leser erkennt an dieser Stelle sofort, dass dies eine recht blöde Frage war. Die nachfolgenden Ereignisse sollten dies noch zusätzlich unterstreichen – ganz nach dem Motto „quod erat demonstrandum“, wie der Lateiner sagen würde.
Es ist nämlich immer wieder faszinierend zu beobachten, wie sich Dinge auf mehr oder minder subtile Weise von selbst erklären.
Denn just in diesem Augenblick, in dem Prankenhuber seine Worte über seine Lippen gebracht hatte und Sekundenbruchteile bevor der Polier dazu kam, ihm einen gewaltigen Anschiss zu verpassen, fiel eine Schraube herunter.
Jawohl: Eine Schraube. Mehr nicht.
Zu der Schraube ist allerdings zu sagen, dass die groß genug war, um, aus dem vierten Stockwerk des Neubaus jüngst zu Fall gebracht, an geeigneten Körperstellen ziemlich weh zu tun. Die geeignete Körperstelle war bei Paul schnell gefunden – mit einem untrüglichen Gespür für pädagogisch zielführende Exempel landete sie zielsicher auf Prankenhubers Kopf.
Zugegebenermaßen verspürte Prankenhuber diesen Schmerz nur sehr kurz, denn die meiste Zeit des resultierenden Schmerzereignisses verbrachte er in tiefer Bewusstlosigkeit.
Ob es zwischen dieser einen Schraube und den nachfolgenden, zugegebenermaßen etwas verstörenden Ereignissen einen kausalen Zusammenhang gibt, lässt sich im Nachhinein gar nicht mit Bestimmtheit sagen. Die zeitliche Abfolge legt allerdings dergleichen nahe.
Raymond Delightful - Der Erleuchtete (Facebook 5/5)
Paul Prankenhubers neues Leben begann am 26. Juli 2016. Er, bis dato nicht eben reich gesegnet mit den Gütern, die ihm einen Platz jenseits des Durchschnitts hätten sichern können, wird Opfer eines selbstverschuldeten Arbeitsunfalls.
Eine Schraube, auch diese eher durchschnittlich, findet aus erheblicher Höhe den Weg auf seinen unvorschriftsmäßig nicht mit einem Helm geschützten Kopf. Die Folge – eine überdurchschnittlich große Beule und ein zweitägiges Koma.
Und damit endet jegliche Durchschnittlichkeit, denn Paul erwacht und wird zum Sendboten der Freiheit. Erleuchtet von den Lehren der Göttin des Lichts, wird er zu Raymond Delightful und damit zu ihrem ersten Jünger.
„Gehe hin und verkünde meine Lehre,“ so der Auftrag der Göttin. Willig entledigt Raymond sich aller textilen Zwänge, die mittels von in Kleidung eingearbeiteter Nanopartikel die Menschheit unter der Kontrolle des Infraschalls halten wollen.
Raymond, nackt und solcherart von der Göttin erleuchtet, sucht und findet Anhänger und Gefolgsleute.
Ein Husarenstück und eine göttliche Satire, bei deren Lektüre sich einmal mehr die literarische Vielseitigkeit, aber auch die herrliche Unverklemmtheit des Autors offenbaren.
(Astrid Leutholf)