Mit Astrid Leutholf begrüße ich heute eine Autorin, die ihr ganzes Leben lang mit der Literatur praktisch „verheiratet“ ist. Ihre Liebe zu Literatur schlägt sich in ihrem gesamten Werdegang nieder. Im MoKo-Verlag erscheint demnächst eine Sammlung ihrer Gedichte unter dem Titel „Rückseiten der Kalenderblätter“ und auch im MoKo-Jahrbuch werden wir die Erzählung „Astern“ finden.
Fangen wir mit den Fragen an, liebe Astrid.
1. Ich stelle mir die Zeit von 1985 bis 1991 im Verlag der Nation in Berlin sehr turbulent und aufreibend vor. Der Aufbruch, die neue Stimmung. Wie bist du damit umgegangen?
Ich habe in einem Verlag einer Blockpartei, der NDPD gearbeitet. Ein wichtiger Aspekt der Literatur, die wir im Belletristik und auch im Sachbuchbereich herausgebracht haben, war die Auseinandersetzung mit dem Faschismus und mit den Schicksalen derer, die zunächst als Mitläufer, aber auch als Täter, dem Regime gefolgt sind, dann aber durch die eigene Lebensgeschichte eine innere Wandlung vollzogen haben. Unsere Bücher waren aber nicht nur retrospektiv. Literatur vollzieht sich immer auch in einem konkreten Umfeld. Literatur zu veröffentlichen, die den Veränderungen in der Gesellschaft Rechnung trägt, war unser Anliegen als Lektoren. Dass dies nicht immer ein einfacher und von Erfolg gekrönter Weg war, kann jeder nachvollziehen, der diese Zeit miterlebt hat. Eine Öffnung, wie sie sich in der russischen Literatur vollzog, war bei uns unendlich viel schwerer.
2. Du hast mit einer weiteren Autorin aus dem MoKo-Verlag, Renate Barth, einige Gemeinsamkeiten. Möchtest du uns etwas darüber erzählen?
Ich habe das Interview mit Renate gelesen und ihr spontan darauf geantwortet. Alles was geschehen ist, ist Teil der Geschichte, es liest sich für die Nachgeborenen wie ein Roman. Für uns ist es ein Teil von uns, der uns geprägt hat, den wir aber, egal wie wir ihn beurteilen, nicht aus unserem Leben streichen können und sollten.
3. Seit deiner letzten Veröffentlichung sind nun ein paar Jahre vergangen. Was hat dich dazu bewogen nun endlich wieder den Schritt zu wagen?
Mit der WENDE haben sich viele Veränderungen vollzogen. Mein Verlag war wie gesagt ein Blockparteien-Verlag. Er wurde, wie das damals so schön hieß, abgewickelt. Ich hatte ein Angebot, in unserer Verlagsauslieferung LIBRI in Frankfurt am Main als Sachbearbeiter anzufangen. Ich habe dieses Angebot angenommen. Aber die Veränderung in meinem Leben, die sich damit vollzog, hat mich für eine lange Zeit dem Schreiben entfremdet.
4. Du veranstaltest auch eigene Lesungen. Wie bereitest du dich auf ein solches Event vor?
Meine letzten eigenen Lesungen lagen alle noch in meiner Zeit als Lektorin. Damals hatte ich viele Lesungen und auch Veranstaltungen, in denen ich andere, oft noch völlig unbekannte Autoren vorgestellt habe. Es gibt kein Rezept. Ich hatte meine Texte oder die Texte der Autoren, die ich vorgestellt habe. Und dann sah ich, wie die Zuschauer eintrafen. Manche kannte ich bereits von anderen Lesungen. Die meisten waren neu für mich. Ich habe mich oder die Autoren vorgestellt. Dann lasen wir den einen oder anderen Text. Aber das eigentliche Event begann danach. Und darauf kannst Du Dich nicht vorbereiten. Du musst da sein und zuhören. Und Du musst ehrlich sein. Alles andere ergibt sich.
5. Könntest du dir vorstellen, auch außerhalb von Lyrik etwas zu veröffentlichen? (Eine Ausnahme habe ich ja schon mit „Astern“ für das MoKo-Jahrbuch lesen dürfen.)
Ich hatte 1989 einen, wie sich das damals nannte, Fördervertrag für einen Roman beim Verlag NEUES LEBEN und für ein Kinderbuch beim KINDERBUCHVERLAG. An beiden Manuskripten will ich wieder arbeiten. Aktuell ist es so, dass ich 40 Stunden in der Woche in einem Angestelltenverhältnis arbeite, eine Facebook- Seite habe, auf der ich jede Woche einen Beitrag veröffentliche. Ich möchte meine Manuskripte, auch die weiteren Projekte, die sich alle im Prosa-Bereich aufhalten, intensiv überarbeiten. Aber, die Zeit…
6. Auch bei LiBri in Frankfurt/Main warst du einige Jahre als Sachbearbeiterin in der Verlagsauslieferung beschäftigt. Erzähle uns doch bitte, was du da genau getan hast.
Bei LIBRI habe ich Verlage betreut, unter anderem den MOEWIG Verlag in Rastatt und den ZSCHOLNAY Verlag in Wien. Ich war als Sachbearbeiter zuständig für den Kontakt zwischen Verlag und Buchhändlern, für Auslieferungen von Neuerscheinungen, für die Bearbeitung der einkommenden Bestellungen der Handelsvertreter nach ihren Verkaufstouren. Das war eine wundervolle Arbeit. Die enge Zusammenarbeit zwischen Verlag, Buchhändlern und Vertretern war mitunter, gerade zu Neuerscheinungsterminen und Erstauslieferungen stressig, aber auch ungeheuer spannend.
7. Ebenfalls beachtenswert finde ich dein Studium der Kulturwissenschaft und Ästhetik an der Humboldt Universität. Wie lauteten die Titel deiner Arbeiten?
Es gibt keine in dem Sinne veröffentlichten Arbeiten. Ich habe mich während des Studiums mit verschiedenen Projekten beschäftigt, zum Beispiel mit dem heute kaum noch bekannten BITTERFELDER WEG, einer Bewegung, die unter dem Motto „Greif zur Feder, Kumpel“ Menschen dazu bewegen wollte, an Kunst und Kultur teilzuhaben, und dass nicht als Konsumenten sondern als Kunstschaffende. Wie vieles dieser Jahre wurde diese Aktion so forciert, dass sie sich oft in ihr Gegenteil verkehrte und leider mehr Hohn als Anerkennung erntete. Aber der Grundgedanke war phantastisch. Und nicht wenige haben durch die damit verbundene Förderung ihren Weg zur Kunst gefunden.
8. 15 Jahre lang hast du schreibende Erwachsene und Schüler praktisch in die Welt der Literatur eingeführt. Welche Erfahrungen konntest du dabei sammeln?
Eigentlich schließt das an die vorige Frage an. Einem Menschen das Gefühl zu geben, dass das, was er ausdrücken möchte, mitteilen möchte, eine Bedeutung hat. Nicht nur für ihn. Wichtig ist die Intention, der Wille, sich mitzuteilen. Fast alles andere kann man lernen. Und wenn man dabei in einer Gruppe Gleichgesinnter ist, kommt es zu erstaunlichen Ergebnissen, aber auch zu Freundschaften, die über einen sehr langen Zeitraum halten.
9. Welche Dinge sind dir beim Schreiben besonders wichtig?
Authentisch zu sein, ehrlich, verständlich. Ich habe mal im Rahmen einer Lesung auf diese Frage geantwortet, dass es mir wichtig ist, Meier, der sein Haus jeden Tag sieht und es deshalb kaum noch wahrnimmt, sein Haus durch meine Augen zu zeigen, auf dass auch er es wieder als etwas Besonderes wahrnimmt.
10. Gibt es Autoren, die du besonders schätzt?
Das ist eine Frage, die Du einem Lektor und der Gestalterin der BÜCHERCOUCH so nicht stellen solltest. Die Liste, die ich Dir geben würde, ist lang und hoffentlich noch lange nicht zu Ende.
Ich danke Dir für Deine ehrlichen Antworten und freue mich schon auf ein weiteres Interview mit einer Deiner Kolleginnen/Kollegen. Und keine Sorge, es gibt jedes Mal neue 10 Fragen.
Euer Markus vom MoKo – Verlag